Ein Rosbacher Zukunftsforscher begibt sich auf eine Reise in die Gegenwart.
Immer wieder war die Jagd in den letzten Monaten Thema auf den Offenen Grünen Stammtischen des Rosbacher Ortsverbands Bündnis 90/Die Grünen. Jetzt im Herbst, wo die Schüsse bis in den Ort zu hören sind, gewinnt die Diskussion noch mehr an Aktualität. Daher wollte man sich nun vor Ort eine Meinung bilden. Michaela Colletti, Vorstandssprecherin des Ortsverbandes, kontaktierte Rosbachs Bürgermeister Steffen Maar, der prompt einwilligte und eine Einladung zur Jagd aussprach.
Am Wochenende war daher ein Rosbacher Zukunftsforscher Gast auf einer Treibjagd im Rosbacher Wald, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen.
Am vergangenen Wochenende wurde es laut im Wald. Herbst ist Jagdzeit. Laut hallten unzählige laute Schüsse durch den Wald. Während die Jagdgesellschaft des Zukunftsforschers gezielte Schüsse setzte, hagelte es im Nachbarrevier Schussgewitter. Für die Treibjagd wurde dort eine Meute mit rund 15 Terriern nebst eigenen Dackeln eingesetzt, die das Wild durch den Wald und vor die Flinten der Jäger scheuchten. Daraus leitet sich für die Kommunalpolitik durchaus die Lehre ab, dass die Sensibilisierung der Jagdpächter für Ihre Verantwortung als Jäger unabdingbar ist. Auch neutrale Beobachter wären für alle Jagdgänge wünschenswert.
Hierzu einige Gedanken des Zukunftsforschers im Spannungsfeld von Tradition, Umwelt und Zukunft.
Als Zukunftsforscher gilt sein Einsatz explizit den besseren Zukünften. Zukunft ist pluralistisch, weil Zukunft noch nicht festgeschrieben steht, und somit viele verschiedene mögliche Versionen, Meinungen, Ideen, Wahrscheinlichkeiten und Vorstellungen vorherrschen. Eine sich offenbarende und anbahnende, bereits existierende Gegenwart ist aber die des Artensterbens. Der Eingriff des Menschen in die Ökosysteme ist unbestritten, nimmt mittlerweile sogar sehr kritische Ausmaße an. Über das letzte Jahr hinweg haben wir aufgrund des Waldsterbens schätzungsweise 10 Millionen Bäume alleine in der Bundesrepublik verloren. Wenn einschneidende Eingriffe in komplexe Systeme unternommen werden, verliert ein System an Widerstandsfähigkeit. Erst jetzt fangen wir an zu lernen, wie die Jahrmillionen an Jahren der sich zeitlich bewährten Permutationen in der Natur in Abhängigkeiten und Interaktionen zueinander stehen.
Das wahrscheinliche Aussterben der Bienen z. B. könnte bedeuten, dass wir über die nächsten 15 Jahre 80 % unserer Lebensmittelversorgung verlieren werden. Wir gehen leider noch nicht sehr intelligent mit unseren Fähigkeiten um, Einfluss auf die Umwelt auszuüben. Die Jagd im Forst, die sich als Säuberungsaktionen versteht, ist da keine Ausnahme. Das muss aber nicht so bleiben.
Natürlich kann man die Rituale, die Gemeinschaft, die Tradition und die Zusammengehörigkeit, die mit der Jagd einhergehen, verstehen. Aber die Frage muss gestattet sein, ob die Jagd, wie sie heute noch stattfindet, überhaupt zeitgemäß ist. Und vor allem, ob die Jagd als “Luxussport” in der Dezimierung der Großwilds – Großwild als wesentlicher Bestandteil des Waldes in seiner Biodiversität – überhaupt unsere eigene Zukunftsfähigkeit garantiert.
Es gibt bekanntermaßen in der Zukunftsforschung eine sogenannte Doomsday Clock. Diese Uhr zeigt an, wie nahe wir vor menschengemachten globalen Katastrophen stehen. Momentan steht die Uhr auf 2 vor 12. Der Umweltfaktor wird demnach immer noch unterschätzt. Funktionierende Ökosysteme erfordern das Zusammenspiel der Arten. Nimmt man ein oder zwei Glieder dieser Kette heraus, können diese Systeme ganz schnell kollabieren.
Momentan müssen wir uns Gedanken machen, ob wir in 5, 10, 15 oder 20 Jahren überhaupt noch die für das Leben und unser Überleben notwendigen Ökosysteme zur Verfügung stehen haben werden. Das Atmen im 21. Jahrhundert, im Zeitalter des Pyrozäns, der brennenden Wälder, der umkämpften Ölfelder, der nicht mehr zeitgemäßen Verbrennungsmotoren, der giftigen Lithiumbatterien, der aus dem auftauenden Permafrost austretenden Methanblasen, der an Sauerstoffgehalt verlierenden, übersäuerten Ozeane, könnte schwierig werden. Umweltschutz fängt nicht woanders an, sondern vor der eigenen Haustür, im eigenen Haushalt, im Kopf der Menschen, in der Veränderung der Sichtweisen.
Mit Neuropolitik und medizinischer Geographie (Geohealth) können wir ein Verständnis etablieren, wie funktionierende Ökosysteme, also kontaminationsfreie Atemluft, begrünte Lebensorte, der Mikroorganismus Erde als Grundlage für florierendes Wachstum, von Toxinen freies Grundwasser, insgesamt für gesunde Körper und einen gesunden Menschenverstand sorgen können. Der Saftfluss der Bäume kann gemessen werden, um die Trockenheit im Wald frühzeitig zu erkennen. Permakultur-Design kann als nachhaltige Architektur eingesetzt werden. Die Bedingungen für die Aufnahmefähigkeit des Erdbodens von Wasser kann erforscht werden. Interaktionen und Verhaltensweisen des Großwilds und die damit verbundenen, vorteilhaften Auswirkungen und positiven Veränderungen für das komplexe System des Waldes können weiterentwickelt werden und sogar gezielt zum Einsatz kommen. Biomimetik dient uns als intelligente Designvorlage um bessere Systeme zu kreieren. All das ist möglich, wenn man nur diesen Fortschritt will. Fortschrittsfeindlichkeit kann uns aber auch ganz schnell in das düstere Mittelalter, und gleichwohl in postapokalyptische Zukünfte katapultieren. Es ist eine Entscheidung, die wir jetzt treffen müssen. Wohin soll die Reise in die Zukunft gehen?